Book:Atomenergie – „ein friedlicher Mörder“/ Atomenergie– du, unsere Teuerste!

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G.F. Lepin, I.N. Smoljar (2012): Atomenergie – „ein friedlicher Mörder“

Teil I. AKWs – Atombomben, die Strom erzeugen

Vorwort | Kluge Gedanken kluger Menschen | Einleitung

1. Atomenergie– du, unsere Teuerste!

2. Wo ist sie – die Sicherheit der Kernenergieanlagen? | 2.1. Vielleicht in Japan? | 2.2. Wir schreiten allen anderen voran | 2.3. Experimente | 2.4. Wozu braucht der Iran AKWs?

3. Ist eine Koexistenz der Atomenergie mit der Natur und der Menschheit möglich? | 3.1. Ehrliche Lüge | 3.3. Können wir noch warten?

5. Wo sind sie – Atomneubauten des neuen Jahrhunderts?

6. Können wir ohne Atomenergie überleben? | 6.1. Windenergie | 6.2. Solarenergie | 6.3. Und wenn beides zusammen? | 6.4. Wie sieht es damit in Russland und Weißrussland aus?

7. Braucht die Bevölkerung neue AKWs? Und die alten? | 7.1. Fazit

Teil II. Wollen wir gemeinsam überlegen?

Das „Experiment“ verläuft erfolgreich (Pamphlet) | Wozu braucht die Katze einen Schwanz? | Fische suchen sauberes Wasser | Das „Experiment“ verläuft erfolgreich (Pamphlet) || Haupttrumpf | Wieviel Jahre kann ein Reaktor halten? | Tschernobyl-Effekt | Womit droht uns die Zukunft? | Der Wind „bläst die Strahlung weg“ oder Windanlage gegen Atomkraftwerk | Kategorisch untersagt! …Aber der Wunsch ist stärker… | Wer handelt mit dem Atomtod? | Nützlich und unschädlich oder schädlich und nicht nützlich? | Ein Fass ohne Boden | Der verlorene Motor | Ein "friedlicher“ Mörder | Countdown läuft | Nachwort – Warnung!


1. Atomenergie – du, unsere Teuerste!

Laut der führenden Finanzzeitung der Welt „Financial Times“ (1996), „kostet ein mit Gas betriebenes Kraftwerk mit einer Leistung von 1000 MW heute 400 Mio. Pfund Sterling (670 Mio. USD) und kann in zwei Jahren fertiggestellt werden. Ein AKW von derselben Leistung wird zwischen zwei bis drei Mrd. Pfund Sterling (3,4 – 5,0 Mrd. USD) kosten, wobei für dessen Bau acht Jahre benötigt werden“. Es ist zu bemerken, dassdie Baukosten der Atomkraftwerke inzwischen keineswegs gesunken sind, im Gegenteil, sie wachsen ständig.

Wegen der Interessiertheit der Militärs war es möglich, einen großen Teil der Baukosten der Atomreaktoren dem Endprodukt – Explosivkernstoff – zuzurechnen. Der Preis der "friedlichen" Atomobjekte wurde somit wesentlich niedriger deklariert. Die Öffentlichkeit sollte glauben, sie seien ganz friedlich und sehr billig.

Jahre vergingen, das Interesse der Militärs für das Kernmaterial für Atom- und Wasserstoffbomben sank. Somit mussten die Baukosten der Atomreaktoren unaufhaltsam nach oben schnellen. Heute beläuft sich der Bau von nur einem AKW-Block mit einer Leistung von 1000 MW mit der erforderlichen Infrastruktur auf mindestens 6-8 Mrd. USD. Und das bei einer Baudauer nicht über 7 Jahren.

Baufristen sind ein Thema für sich. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts betrug die durchschnittliche Baudauer eines Atomblocks 66 Monate, in der Zeit 1995-2000 stieg sie auf zehn Jahre, d.h. um das 1,8-fache, und die Baukosten wuchsen um das dreifache. Bei Beibehaltung dieser Tendenz müssen heute die Baukosten eines Blocks auf mindestens 6-8 Mrd. USD geschätzt werden. Eine beliebige Verlängerung der Bauzeit hat eine krasse Verteuerung zur Folge. Laut Angaben der Atomenergiebehörde IAEA betrug die Baudauer der in den Industrieländern in Betrieb genommenen Atomkraftwerke 7-11 Jahre, und in den Entwicklungsländern, die keine Erfahrungen beim Bau solcher Objekte haben (Argentinien, Brasilien, Indien, Mexiko, Rumänien), waren es 13-15 Jahre. Deswegen stiegen die tatsächlichen Ausgaben für den Bau eines Atomkraftwerks.

Wissen Sie schon, was die Abkürzung IAEA bedeutet? Die volle Bezeichnung auf Englisch lautet – International Atomic Energy Agency, Sitz in der Hauptstadt Österreichs, im Land, das keine Atomenergie hat und nicht haben will. Interessant, nicht wahr? Diese Organisation ist für Atomenergie in der ganzen Welt zuständig und an der Entwicklung dieser Energiebranche eindeutig interessiert. Und wenn sie was zugeben muss, so kann man das glauben. Laut Angaben dieser Organisation für das Jahr 1998 betrug die durchschnittliche geplante Baudauer der 10 von 26 im Bau befindlichen Reaktoren mehr als 16 Jahre, und für die übrigen 16 Reaktoren waren die Termine der Fertigstellung nicht einmal der IAEA bekannt.

Falls ein AKW in Weißrusslandgebaut werden soll, wird es kaum möglich sein, den Bau in weniger als 12-15 Jahren abzuschließen. Das heißt, mindestens 12 Mrd. USD werden für lange Zeit eingefroren, denn das Geld wird von Jahr zu Jahr in den Investitionsbau ausgegeben und bestenfalls erst nach 12 Jahren zurückfließen. Dadurch kann die Wirtschaft des Landes lahmgelegt werden, alle Programme zur energieeffizienten Umrüstung der Industrie, darunter der Energetik, werden vereitelt, die nichttraditionelle und erneuerbare Energetik sowie Energieeinsparung stagnieren.

Apropos Reaktorkosten: Man bekommt den Eindruck: Je vollkommener, d.h. je komplizierter und teurer der Reaktor, desto größer die Gefahr, dass etwas versagt. EinTeufelskreis!

Eine der wichtigsten Kennziffern bei einem Energieobjekt ist der Rückfluss investierter Mittel. Auf Grund der von den Autoren des Projekts des AKW Balakowo durchgeführten Analyse wurde festgestellt, dass bei einer Steigerung der Baukosten um 60% der Nettoertrag auf Null abstürzt. Und die Steigerung der Baukosten ist für alle Atombaustellen typisch. So kostete der Bau des dritten Blocks im AKW Kalinin 110 % mehr als durch das Projekt veranschlagt worden war. Ein Rückfluss? Purer Verlust! Deshalb klammert sich die Atomlobby an die Idee, die Betriebsdauer der Reaktoren zu verlängern, dadurch werde die Stromerzeugung insgesamt größer und der Strompreisniedriger. Einwände, dass es gefährlich ist, tun sie leichtfertig ab. Solche „Späße“ könnenaber ein schlimmes Ende haben.

Warum bemüht sich die Staatsführung Russlands so emsig, neue AKWs im Lande zu bauen? Sind sie vielleicht rentablerals Wärmekraftwerke? Da liegt aber der Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) vor. Da steht klipp und klar, dass die durchschnittlichen Baukosten für ein Kilowatt Leistung in Russland etwa 3.200 USD bei AKWs, undjeweils höchstens 1.000 USD bei neuen Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken bzw. Gasturbinenkrafwerken betragen.

Somit ist der Bau der AKWs um das drei- bis vierfache teurer. Die Betriebskosten beid en AKWs sind mindestens um das 10-fache höher, als bei den Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken bzw. Gasturbinenkraftwerken, weil in den AKWs um ein vielfaches mehr Personal beschäftigt ist und die Reparaturen unvergleichsmäßig teurer sind. Eine schöne Rentabilität! Freilich wird die Atomlobby wie immer einen wesentlichen Teil der tatsächlichen Ausgaben verbergen. Es gibt schon einen Regierungsbeschluss über die Zuteilung eines nicht gerade bescheidenen Betrags von 1,25 Billion belarussische Rubel (ca. 1,5 Mrd. USD), die selbstverständlich bei der Berechnung der Selbstkosten elektrischer Energie nicht berücksichtigt werden. Da wird es wieder heißen: alles sehr „rentabel“ und „billig“.

Einer der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Atomkraftwerken und Kraftwerken, die mit organischem Brennstoff betrieben werden, besteht darin, dass nach Ende der Betriebsdauer eines AKW bzw. bei dessen Außerbetriebsetzung aus anderen Gründen keine Möglichkeiten für dessen Instandsetzung existieren, das heißt: Wenn ein AKW ausfällt, so ist das endgültig und für immer.

Als normale Betriebsdauer der Reaktoren werden 30 Jahre angenommen. Laut Angaben der IAEA war die tatsächliche Betriebsdauer der stillgelegten Reaktoren wesentlich weniger und lag bei etwa 20 Jahren.

Um die „Vorteile“ der AKWs zu zeigen, versucht die weißrussische Atomlobby uns weißzumachen, dass unser Atomkraftwerk praktisch das ganze 21. Jahrhundert, d.h. im Laufe von 80 Jahren zuverlässig arbeiten wird. Durch diesen Trick wird der Preis für erzeugten Strom um mehr als die Hälfte verringert.

Wie ist das zu beurteilen – als Offenlegung ihrer Unwissenheitoder als leichtsinniges Draufgängertum? Oder rechnen sie auf unsere Unwissenheit und Leichtgläubigkeit?

Ein ausgedientes bzw. vorfristig stillgelegtes Atomkraftwerk kann nicht einfach abgeschaltet und vergessen werden, wie das bei einem Wärmekraftwerk der Fall ist. Ein AKW bleibt auch nach der Stilllegung ein äußerst gefährliches Strahlungsobjekt, das besonders aufmerksam, professionell behandelt und gewartet werden muss.

Atomleute haben Angst davor und wollen den Zeitpunkt der Stilllegung der Reaktoren möglichst weit aufschieben, deshalb verlängern sie ihre Betriebsdauer. Jedoch eine Garantie, dass ein Reaktor nach Ablauf seiner berechneten Betriebsdauer sicher bleibt, gibt es nicht und kann nicht geben. Erinnern wir uns an die Situatio nin Deutschland nach der Katastroph ein Japan. Vor der Katastrophe begann man die Betriebsdauer der Reaktoren zu verlängern. Plötzlich ereignete sich die japanische Katastrophe. Das erste, was in Deutschland getan wurde, war die Aufhebung der Beschlüsse über die Verlängerung der Betriebsdauer der Reaktoren. Man verstand, dass Reaktoren auch ohnehin gefährlich, und Reaktorenmit verlängerter Betriebsdauer doppelt gefährlich sind.

Ein besonderes Problem ist die Stilllegung der AKWs. Die Schlussphase der „Atomgeschichte“ – die Entsorgung der „Überreste des AKWs“ – ist eine sehr teure und recht komplizierte Sache. Bisher stellt sich niemand vor, wie man das tun soll. Es drängt sich die Schlussfolgerung auf: Man soll nicht etwas zur Welt bringen, womit wir später nicht fertig werden können!

Die in den AKWs erzeugte Elektroenergie wird mit der Zeit immer teurer. In Bild 1 werden Angaben für die USA und die BRD über die Elektroenergiekosten aus ihren Atomkraftwerken gezeigt. Der Wachstumstrend der Selbstkosten ist unbestritten. Laut Prognose der amerikanischen Spezialisten für das Jahr 2000 sollten die Selbstkosten 15 Cent / kWh betragen.

Bild 1. Änderung des Preises für die in AKWs erzeugte Elektroenergie

Wenn heute in den USA vom Preis der in den Atomkraftwerken erzeugten Elektroenergie gesprochen wird, nennt man einen Preis von 15 - 25 Cent / kWh. Auch russische Atomleute nennen einen ähnlichen Preis. In der Tenderdokumentation zum Bau eines AKW in der Türkei, wo Russland einziger Bewerber war, wurde der Preis von 20,79 Cent/kWh angegeben. Das soll ein realer Preis sein, in dem alle anfallenden Kosten berücksichtigt sind. Denn gewisse Ausgabeposten werden schon Türken vor den Stromabnehmern verbergen müssen.

Im Diagramm sind interessante Angaben über die Selbstkosten der Elektroenergie angeführt, die die weißrussische Atomlobby zu erhalten hofft, wenn der Bau eines AKW in Weißrusslandgenehmigt wird. Das sind 3 bzw. 5 Cent/kWh. Woher diese Zahlen kommen, ist schwer zu vermuten. Sie sind allzu niedrig gegriffen und entsprechen keinesfalls der oben erwähnten Gesetzmäßigkeit. Ein solches Niveau Selbstkosten war jeweils für 1974 und 1982 typisch, aber sich heute darauf berufen? Entweder ist das ein Ergebnis der hervorragenden wissenschaftlichen Errungenschaft weißrussischer Atomleute oder ein hervorragender Trick der Berufslügner.

Schon jetzt, wenn es in Weißrussland noch kein AKW gibt, nutzt unsere Atomlobby die Erfahrungen ihrer Kollegen aus anderen Ländern in der Nutzung der Mittel aus dem Staatshaushalt im Interesse ihrer Körperschaft. Das Gesetz „Über die Atomenergie“ öffnet ihnen Tür und Tor zur Nutzung der Mittel aus dem Staatshaushalt für Bildung eines Fonds für Stilllegung der AKWs und für viele andere Ausgabeposten der Atomenergiewirtschaft. Damit ist der Boden für die Aufrechterhaltung des Mythos über die „ewig billigste Atomenergie“ geschaffen.

Reale Selbstkosten der in Atomkraftwerken erzeugten Elektroenergie sind mindestens 5 Mal so hoch wie die Kosten der Elektroenergie aus Wärmekraftwerken. Und all das ausgerechnet in dem Moment, als in den entwickelten Industrieländern ein Durchbruch in Richtung neuester Dampf- und Gas-Technologien sichtbar geworden ist. In Weißrussland, Russland und der Ukraine wurde die Atomlobby wieder aktiv und versucht, unsere Länder in die kernenergetische Sackgasse zu zwingen.